Carounean (Aushilfsrusse) (Gast) - 29. Jun, 16:40

Die Entdeckung der Individualität

Tatsächlich, Genosse Lukianenko ist offensichtlich zwischen dem ersten Band und der Fortsetzung auch auf die Generallinie der ferminadazaschen Kritik eingeschwungen. Im zweiten Band entdeckt er die wunderbare Welt der wechselnden Erzählerstimmen.
Ebenso konsequent, wie er im ersten Band nur Anton zu Wort kommen ließ, bestimmt nun je eine Figur je eine Geschichte des Bandes. Der Leser hat die Chance, zum Teil schon vertrauten Charakteren (Alissa...) richtig Nahe zu kommen. Damit lohnt sich für den Autor auch die Erfindung wirklich eigenartigen Personals, die vorher vermutlich schon aus Gründen des Markteffizienzgedankens in der Bestsellerproduktion keine Chance hatte. Vielleicht half auch der sicherlich rapide Anstieg der Vorschuss-Summe, den Autor zu entspannen. Ab dem ersten Wächter-Band war Lukianenkos Literatur ihr eigener Markt in Russland.
Gemessen an den Genre-Standards ist die Einfühlung in die Psychologie der Protagonisten schon fast beklemmend. So schreibt Lukianenko ganz nebenbei die kistschigste Sex-Szene in Strand-Setting seit Marion Zimmer-Bradley, ohne dabei lächerlich zu werden. Gewiss, der Kunstgriff "das ist die Natur meines übernatürlichen Wesens" ist nicht neu, aber selten so erhellend eingesetzt worden. Ich nehme gerne vergleiche zwischen Lukianenkos Konzept des Hexentums und den Karrierepüppchen aus Sex and the City entgegen!

Das zweite Konzept, das der Autor kunstvoll einführt, ist das Spiel mit den Antonomien von Tag- und Nachtwache. Die Verschränktheiten und gegenseitigen Abhängigkeiten erinnern irgendwann schon an Hegels Dialektik, erklärt für einen sehr gläubigen Katholiken um 1100 n. Chr.

Auf der Mikro- wie der Makro-Ebene sorgt Genosse L. also für exzellente Unterhaltung. Für mich mutiert das ganze sogar mitunter zu einem Kurs in Post-Popliteratur. Musikzitate, Gefühle und persönliche Ethik im Mittelpunkt, übergreifender Zynismus und doch die ganz selbstverständliche Ausrichtung an Idealen, deren Rechtfertigung schon so lange weggebrochen ist, das es auch nicht mehr darauf ankommt - wer erinnert sich noch an Stuckrad-Barre bevor er zur lebenden Koks-Reklame wurde? Nur hat unser Autor ein Setting, was die Sache aus der unbedingten Aktualitätsfalle rettet.

Das einzige Manko des zweiten Bandes, neben gestohlenem Nachtschlaf: So kunstvoll die Rahmenhandlung des Bandes am Ende geschlossen wird, so sehr hängt die Entwicklung gerade der spannendsten Charaktere in der Luft. Am frustrierendsten war für mich die Entdeckung, dass Anton gerade in dem Moment, da er wieder eine neue, spannende Figur wurde, nur noch rund 50 Seiten verblieben.
Jenseits aller tumben Cliffhanger-Strategien macht so der zweite Band wenig Sinn ohne den dritten (Wächter des Zwielichts).
Auf dessen Rezension durch die hochverehrte ferminadaza werde ich nun untertänigst warten.

FerminaDaza - 29. Jun, 21:24

gnädigster kritiker, zunächst herzlichen dank für die hocherfreuliche anteilnahme und die diesmal von mir hunderprozentige wertschätzung des bandes - nur wird man auf die gedanken (rezension möchte ich mein geschreibsel nicht nennen) zu den wächtern des zwielichts etwas warten müssen da mein lieblingsbibliothekar gerade in schweden weilt und ich deshalb ein nicht minder spannendes doch gänzlich anderes buch begonnen habe (rafik schami: das geheimnis des kalligraphen).

was die von dir angesprochene hegelsche philosophie für christen (sehr treffend!!!) betrifft ist das diesmal weit ausgereifter, präziser und differenzierter durch verschiedene charaktere formuliert und hat daher nicht den nervtötenden holzhammercharakter des ersten bandes.

was anton betrifft stören mich die 50 seiten nicht sehr, da ich ohne vorherige kritiken gelesen zu haben sicher bin, dass ich ihm im dritten band wieder begegnen werde.
von den charakteren sind mir neben alissa die ich sehr verstanden habe vor allem edgar und igor sehr nahe gewesen und sehr fein gezeichnet erschienen.
swetlana kann ich nach wie vor nichts abgewinnen da sie mir noch etwas flach erscheint aber wenn die prophezeiung sich erfüllt wird sich ja auch das ändern.
und anton... ja der sympathische antiheld... freunde werden wir nie werden aber es wird besser :-)

es hat zwr bis zum zwiten band gebraucht, aber jetzt bin ich wächter-fan.
wobei mir nach wie vor weniger die philosophische seite als mehr die interdisziplinäre arbeitsweise des autors sehr gefällt!

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